Der Roman erzählt die Episode aus Homers Odyssee neu, in der Odysseus gegen Ende seiner Irrfahrt bei der Nymphe Kalypso lebt. Odysseus, Held der Griechen im Trojanischen Krieg, wurde als Schiffbrüchiger halb tot, halb lebendig an den Strand von Ogygia gespült. Kalypso, die schönste aller Nymphen, fand ihn, pflegte ihn, liebte ihn. Und die unsterbliche Nymphe kann unsterblich machen, wen sie liebt.

Herbert James Draper: "Calypso's Island", 1897. gemeinfreies Werk
Herbert James Draper: „Calypso’s Island“, 1897. gemeinfreies Werk

Aber will man, als Sterblicher, will man unsterblich werden? Ewig Leben? Unterdessen halten die Götter im Himmel ein Symposium zur Frage der Sterblichkeit ab, denn das ist ein Thema, dass sie, die Unsterblichen, nicht verstehen. Und sie sehen Odysseus als
Studienobjekt an, denn er ist sterblich und kann unsterblich werden, wenn er Kalypsos Angebot annimmt.

Dies ist ein etwas anderer Roman. Köhlmeier übernimmt den antiken Stoff und verpflanzt ihn in unsere Zeit. Wobei das nur die Umgebung, die Kulisse betrifft, denn der Grundkonflikt und die Grundthemen ändern sich nicht. Natürlich schmückt er aus, es ist keine reine Nacherzählung. Und er verweist auf das „Gedicht“, es ist ein Neuerzählung. Obwohl der Roman „Kalypso“ heißt, geht es doch eher um Odysseus. Dem Erzählstil haftet hier und da dieses Antike an, das uns heute fremd vorkommt. Personen werden bei ihrer Einführung – aber gelegentlich auch später – mit Attributen vorgestellt, z.B. (recht wahllos ausgewählt):

Aphrodite, die Liebliche, unter deren Sohlen Anmut und Abenteuer gedeihen, war …

Und diese Wir-Perspektive. Der Autor schreibt als „Wir“, wobei es zumindest den Erzähler meint, z.B.

Zugegeben, wir haben uns nicht an die Reihenfolge der Ereignisse gehalten, wie sie in dem Gedicht festgelegt ist, das uns den überlieferten Stoff in Form brachte.

das hat etwas Lebendiges, wenn der Erzähler über die Erzählung, über die Erzählweise nachdenkt. Wie ja auch die griechischen Sagen überwiegend mündlich, d.h. mit „lebendigem“ Erzähler, weitergegeben wurden.

Wer sich also für griechische Mythologie interessiert oder auch nur für einen etwas „anderen“ Roman, dem sei „Kalypso“ empfohlen.