Dante Alighieri: Die göttliche Komödie

übersetzt von Karl Witte (1800-1888)

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Die jenen eitlen Glanz zur rechten Stunde (79)
Von Volk zu Volk, von Stamm zu Stamm vertausche,
Entrückt der Gegenwehr «n Menschenklugheit.
Nach ihrem Urteilsspruch, der sich verborgen, (82)
So wie die Schlang' im Grase, hält, geschieht es,
Dass ein Geschlecht regiert, ein andres kranket.
Machtlos ist gegen sie eu'r ganzes Wissen; (85)
Sie überlegt, beschliesset und vollstreckt
In ihrem Reiche so wie andre Götter.
Nicht Bast, nicht Kühe kennt ihr ew'ger Wandel; (88)
Notwendigkeit befügelt'ihre Schritte,
So oft geschieht's, dass die Geschicke wechseln.
Ani Kreuz geschlagen wird sie von gar vielen (91)
Auch unter denen, welche Preis ihr schulden
Und sie mit Unrecht tadeln und verleumden;
Doch unberührt bleibt sie von solcher Hede, (94)
Mit ändern erstgeschaffnen Wesen lenket
Sie freudig ihre Sphär' in Seligkeit.
Lass nun zu grössrer Qual uns niedersteigen (97)
Schon senkt sich jeder Stern, der, als ich aufbrach,
Emporstieg, längres Weilen ist nicht statthaft. -
Das Tal zum ändern Ufer hin durchschneidend (100)
Gelangten wir zu einem Quell, der siedet
Und niederwärts durch einen Graben abfliesst.
Es war sein Wasser schwarz mehr als nur dunkel, (103)
Und im Geleite seiner finstren Welle
Führt' uns ein Pfad hinab, derr rauh und seltsam.
Styx heisst der Sumpf, den dieser traur'ge Bach (106)
Am Fuss der unheilvollen Felsen bildet,
Von deren grauner Wand er in das Tal fliesst.
Und ich, der sorglich umzuschaun bemüht war, (109)
Sah schlammbedeckte Leut' in jenem Sumpfe,
Ganz nackend und mit zornerregten Zügen.
Nicht nur mit Händen schlugen sie einander, (112)
Sie stiessen sich mit Kopf und Brust und Füssen,
Zerfleischten sich durch Bisse gegenseitig.
Mein Meister aber sagte: Sohn, hier siehst du (115)
Die Seelen derer, die der Zorn bezwungen.
Doch mögest du als gleich gewiss mir glauben,
Dass andres Volk noch unterm Wasser seufzet (118)
Und diesen Sumpf die Blasen werfen lässt,
Die dir dein Auge zeigt, wohin du's wendest.
Im Schlamme steckend sagen sie; Wir waren (121)
Unmutig in der süssen lichten Luft,
Weil unser Herz des Trübsinns Qualm benommen;
Jetzt trauern wir mit Recht im schwarzen Moore. (124)
Doch gurgeln sie dies Lied nur in der Kehle,
Weil sie's voll auszusprechen nicht vermögen.
Damit umkreisten wir im weilen Bogen (127)
Die schmutz'ge Lache zwiscben Mitt' und Ufer,
Die Augen zugewandt den Schlammverschluckern;
Dann kamen wir zu eines Turmes Fusse. (13o)

Achter-Gesang


Fortfahrend sag' ich, dass schon eine Weile,
Eh' wir zum Fuss des hohen Turms gelangten, .
Zu seiner Höh'sich unser Auge wandte;
Denn aufgesteckt war dort ein Fackelpaar, (4)
Und eine dritt' erwiderte das Zeichen
So fern, dass sie das Auge kaum gewahr ward.
Ich sprach, gewandt zum Meer jedweder Weisheit: (7)
Was will dies Feuer sagen, was entgegnet
Das andre, und wer sind, die sie entzündet? —
Er sagte: Schon kann auf den schmutz'gen Wellen, (10)
Was zu erwarten steht, dein Blick gewahren,
Wenn dich der Nebel nicht am Sehn verbindert. —
Nie schnellte einen Pfeil des Bogens Sehne, (13)
Der so geschwind die Luft durchschnitten hätte,
Als übers Wasser her im Augenblick


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