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3 SPROULL et al.: Ein Gesicht als Interface

 

Sproull et al. haben die Verhaltensunterschiede des Nutzers bzgl. eines textuellen Interfaces vs. eines Interface mit einem realistischen Gesicht in einer größeren Studie [Sproull et al., 1996] untersucht. Ihr Ziel war es, diese Unterschiede aufzuzeigen. Dabei ging es sowohl um Unterschiede in der Art, wie das System wahrgenommen und bewertet wird, als auch wie sich der Benutzer unter Eindruck dieses Systems verhält.

3.1 Untersuchte Fragen

Ausgehend von Erkenntnissen über Reaktionen auf Gesichter stellten Sproull et al. folgenden Hypthesen auf:

  1. Die Probanden werden Persönlichkeitsmerkmale des Gesichtsinterfaces, die mit dem Aussehen verknüpft werden, anders attributieren, als die des Textinterfaces. Der Unterschied bei Persönlichkeitsmerkmalen, die nicht mit dem Aussehen verknüpft werden, wird geringer ausfallen.
  2. Die Probanden werden erregter und aufmerksamer sein, wenn sie mit dem Gesichtsinterface interagieren, als wenn sie dies mit dem Textinterface tun.
  3. Die Probanden werden sich selbst positiver beschreiben und sich weniger eröffnen, wenn sie mit dem Gesichtsinterface interagieren, als wenn sie dies mit dem Textinterface tun.
  4. Männer und Frauen werden sich in ihren Antworten auf ein Gesichtsinterface stärker unterscheiden, als in ihren Antworten auf das Textdisplay.

3.2 Das Experiment

Das System, an welchem die Probanden sich versuchten, wurde als virtueller Karriere-Berater ausgegeben. Das erlaubte den Autoren, eine ganze Reihe von psychologischen Testitems darzubieten und diese zur Auswertung heranzuziehen.

Die Studie umfaßte 130 Studenten der Bostoner Universität mit einem Durchschnittsalter von 20,7 Jahren. Die Zahl der Männer und Frauen war ungefähr gleich.

Es wurden drei Versuchsbedingungen geschaffen. Einmal war es ein textuelles Interface, mit dem die Probanden interagierten. In den anderen beiden Bedingungen war es ein realistisch aussehendes, weibliches Gesicht. Dazu kam eine synthetische Stimme, wobei das Gesicht die Lippen synchron bewegte. Die beiden Bedingungen unterschieden sich in dem Gesichtsausdruck in den Gesprächspausen: der eine war ein ernster (die Mundwinkel und Augenbrauen leicht nach unten gezogen), der andere ein freundlicher (Mundwinkel und Augenbrauen nach oben gezogen).

Im Versuch konnten sich die Probanden nach eine Einführung zunächst an die Bedienung des Systems gewöhnen. Danach wurden vom System einige Standard-Tests durchgeführt: bei den Gesichtsinterfaces wurden die Items gesprochen, und nur die Antworten textuell dargestellt. Im zweiten Teil interagierten die Probanden mit dem Berater (dazu wurde WEIZENBAUMs ELIZA-Programm modifziert). Hier sprach das Gesicht die Worte des Berates, die jedoch zusätzlich nach einer Sekunde als Text dargestellt wurden. Im Anschluß füllten die Probanden einen postexperimentellen Fragebogen aus.

3.3 Ergebnisse

Soziale Wahrnehmung des Fragenden

Wie Tabelle 3 (nach Sproull et al., 1996) zeigt, bewerteten die Probanden die Persönlickeitsmerkmale des Fragenden (d.h. des Agenten) je nach Versuchbedingungen unterschiedlich. Die Tabelle gibt an, in welcher Richtung die Merkmale der Gesichtsinterfaces signifikant anders eingeschätzt wurden als die des Textinterfaces. Die Unterteilung in Merkmale, die mit dem Aussehen verbunden sind, und solcher, die nicht damit verbunden sind, übernahmen Sproull et al. von WARNER und SUGARMANgif.

 

Wahrnehmung freundliches Gesicht ernstes Gesicht
Mit Erscheinung verbundene Merkmale
Soziale Bewertung negativer negativer
Geselligkeit -- weniger wahr
Intellektuelle Bewertung -- --
Nicht mit Erscheinung verbundene Merkmale
Potenz -- --
Aktivität weniger wahr weniger wahr
Emotionalität -- --

Tabelle: Bewertung der Persönlichkeitattribute bei SPROULL et al.

 

Die Autoren sehen in den Ergebnissen die Bestätigung ihrer ersten Hypothese. Die paradox scheinende negativere Bewertung der Aktivität der animierten Interfaces mag in dem vorliegenden Gesicht oder in der langsamen, unbetont sprechenden und synthetischen Stimme resultieren.

Erregung und Aufmerksamkeit

Die Antworten auf post-experimentelle Fragen nach der Erfahrung der Probanden mit dem System beinhaltete laut Faktorenanalyse drei Faktoren. Einer davon, den die Autoren mit Happiness bezeichnen, schliesst auch die Zufriedenheit des Benutzers mit dem System ein. Hier konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Versuchsbedingungen gemessen werden.

Ein anderer Faktor, Erregung genannt, zeigt Unterschiede auf: bei den Gesichtsinterfaces beschrieben sich die Probanden weniger entspannt und weniger selbstsicher.

Probanden, die mit den Gesichtsinterfaces arbeiteten, brauchten mehr Zeit zum Beantworten der Fragen der psychologischen Tests, als die Probanden mit dem Textinterfaces. Obwohl sie alternative Erklärungen nicht ausschließen können, schließen die Autoren daraus, daß die Probanden die zusätzliche Zeit zum sorgfältigerem Nachdenken über die Fragen nutzten und daher dem Experiment eine höhere Aufmerksamkeit schenkten. Zusätzlich zeigte sich, daß die Versuchpersonen in den Bedingungen mit Gesichsinterface signifikant mehr Fragen übersprangen als die Versuchspersonen in den anderen Bedingungen, aber nur in den Tests, die bekanntermaßen sozial beeinflußbarer sind (soziale Erwünschtheit und Altruismus). Dies kann bedeuten, daß die Personen gewisse persönliche Fragen vermieden.

Die Autoren sehen sich aufgrund dieser Ergebnisse in ihrer Hypothese 2 bestätigt. Die Antworten sind in Tabelle 4 (nach Sproull et al., 1996) zusammengefaßt.

 

Antwort freundliches Gesicht ernstes Gesicht
Erregung größer größer
Performanz bei Selbst-Präsentation
Dauer größer größer
Übersprungene Items gesamt -- --
Altruismus mehr --
Soziale Erwünschtheit mehr --
Selbst-Wert -- --
Selbst-Präsentation
Altruismus größer größer
Soziale Erwünschtheit -- --
Selbstwert -- --
Interaktion mit dem Berater
Dauer -- --
Anzahl Wörter -- kleiner
Anzahl der Interaktionsrunden -- --

Tabelle 4: Verhaltensantworten bei SPROULL et al.

 

Selbst-Präsentation

Die Probanden, die die Gesichtsinterfaces benutzten, stellten sich selbst positiver bezüglich Altruismus und sozialer Erwünschtheit dar. Diese beiden Probandengruppen schrieben auch weniger in ihren Antworten auf die Fragen des Beraters. Durch diese Ergebnisse sehen die Autoren ihre Hypothese 3 gestützt.

Unterschiede zwischen Männer und Frauen

Die Autoren interessierten sich auch für die Interaktion zwischen Geschlecht und Versuchsbedingung (siehe Hypothese 4). Während sich sowohl Männer als auch Frauen altruistischer zeigten, wenn sie mit einem Gesichtsinterface interagierten, waren aber die Unterschiede zwischen den Geschlechter nur bei dem freundlichen Gesicht groß. Frauen schrieben mehr Worte, wenn sie ein Textinterface benutzten. Bei den Männern verhielt es sich genau umgekehrt. Im allgemeinen antworteten die Männer positiver auf die Gesichtsdisplays, wogegen die Frauen positiver auf das Textdisplay antworteten. Auch mochten die Männer die Gesichtsdisplays mehr, die Frauen dagegen das Textdisplay. Dieses Ergebnis könnte mit dem noch zu unnatürlich wirkenden Gesicht und der synthetischen Sprache der Gesichtsinterfaces zusammenhängen. Frauen könnten dem abneigend gegenüberstehen, während Männer davon eher technisch fasziniert sind, so die Autoren.


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Erik Pischel
Mit Jan 3 18:11:33 CET 2001