Porta fontium, das „Bayerisch-tschechisches Netzwerk digitaler Geschichtsquellen“, veröffentlicht nicht nur Matrikel (Kirchenbücher) sondern auch andere Archivalien. Unter anderem auch Chroniken. Für das Dorf Neudorf bei Petschau in Böhmen ist eine Gemeindechronik veröffentlicht, geschrieben zwischen 1884 und 1938.

Für meine Forschung ist besonders die Reihenfolge der Besitzer der einzelnen Höfe und Häuser interessant. Es gibt aber auch allgemeinere Schilderungen einzelner Aspekte des Lebens in einem westböhmischen Dorf.

Hier ein Inhaltsverzeichnis:

  1. Fernere Geschichte der Gemeinde Neudorf vom Jahre 1777 bis zum Jahre 1786
  2. Der Bauernauftstand im Elbogener Kreise im Jahre 1775
  3. Der Process wegen der Erbauung einer geistlichen Wohnung in Neudorf (1786-1808)
  4. 1805: Verkauf der Gemeindemühle
  5. Neudorf gelangt als Bestandteil der Herrschaft Petschau an Herzog Friedrich von Beaufort-Spontin im Jahre 1813
  6. Graf Chotek und der Richter
  7. Neudorfs Unterthänigkeitsverhältnis gegen die Petschauer Obrigkeit vor dem Jahre 1848
  8. Erlösung Neudorfs aus dem Unterthänigkeitsverhältnis gegen die Petschauer Grundherrschaft durch die Constitution des Jahres 1848
  9. Der Männergesang-Verein in Neudorf
  10. Heldenstück eines Neudorfers (aus 1866)
  11. Weihe der Fahne des Feuerwehr-Vereins zu Neudorf am 24. April 1881
  12. Weihe der Fahne des Militär-Veteranen-Vereins zu Neudorf am 25. Mai 1884
  13. Wie die Bruderschaft der allerheiligsten Dreifaltigkeit in Neudorf auf Befehl des Kaisers Josef II im Jahre 1785 aufgehoben ward
  14. 25jähriges Gründungsfest des Männergesangvereins in Neudorf am 17. April 1887
  15. Tabelle mit den 1805 geänderten Hausnummern
  16. Zu Seite 37 (Über die Hausbesitzer aus einem Dokument von 1597 ??)
  17. Gefallene und Gestorbene Krieger aus Neudorf (1. WK)
  18. Die Gründung Neudorfs
  19. Flurenteilung und Kriegsverhältnisse
  20. Robotleistungen
  21. Beschwerden gegen die Obrigkeit
  22. Der Flößgraben
  23. Die Neudorfer Mühle
  24. Baustile
  25. Langjährige Besitzer
  26. Chronologische Reihenfolge der Besitzer (1931)
  27. Viehbestand der Einwohner im Jahr 1792
  28. Justrukzion (sic!) für Hebammen
  29. Vertrag zwischen der Gemeinde und dem Besorger der Ortswasserleitung (1865)
  30. Salzversorgung
  31. Hauwald
  32. Ziegelhütte
  33. Jagd
  34. Sauerbrunn(en)
  35. Heide
  36. Erwerb
  37. Landwirtschaft
  38. Öffentliche Gebäude und Denkmäler
  39. Verkehrswege
  40. Gemeindeschmiede
  41. Stierhaltung
  42. Hopfenhandel
  43. Schule
  44. Gemeindeschmiede
  45. Hausnamen
  46. Verzeichnis der Hausbesitzer 1837
  47. Verzeichnis der Haushaltsvorstände 1937
  48. Kurze Chronik 1914-1938 Vom 1. Weltkrieg, über die „Eingliederung“ in die Tscheslowakei bis zur „Rückgliederung“ des Sudetenlandes ins Deutsche Reich

Die Schrift ist nicht leicht zu entziffern. Ich hoffe jedoch, dass dieses Inhaltverzeichnis dem/der einen oder anderen hilft, die Chronik zu erschließen.

Mein Vater erzählt:

Mein Vater war im 1. Weltkrieg in der k. und k. Armee. 1916 hatte er genug von den sinnlosen Gefechten und lies sich in Galizien von der Front überrollen. Großvater geriet in russische Kriegsgefangenschaft. Er gelangte immer weiter nach Osten, berichtete, wie beeindruckt er von der Weite des Landes war, von den Flüssen Lena und Ob. Er gelangte bis nach Wladiwostok und kehrte von dort per Schiff 1921 nach Hause zurück.

Ausmarsch des k.u.k. Infanterie-Regiments Nr. 92 aus Komotau 1914
Ausmarsch des k.u.k. Infanterie-Regiments Nr. 92 aus Komotau 1914 (wikimedia.org, Kriegsarchiv Wien)

Mein Großvater Ernst Karl PISCHEL stammte aus Bilin in Böhmen, Österreich-Ungarn. Ein wenig Stöbern im entsprechenden Unterforum auf Ahenforschung.net brachte mich auf die Webseite eines digitalen Archivs in Prag. Wenn man dort nach „Verlustliste“ sucht, findet man tatsächlich Verlustlisten der k-und-k-Armee. Dort habe ich meinen Opa tatsächlich in der Verlustliste ausgegeben am 27.6.1916 gefunden. Sein Eintrag lautet:

Pischel, Ernst Karl, Gefr., IR. 92, 15. Komp., Böhmen, Dux, Bilin, 1892; kriegsgef., Rasdolnoje, Gebiet Primorsk, Russland

Dies bedeutet, dass er Gefreiter im „böhmischen“ Infanterie-Regiment Nr. 92, 15. Kompanie war, aus Bilin stammte, 1892 geboren wurde, in Kriegsgefangenschaft geraten war und im Kriegsgefangenen-Lager Rasdolnoje im Gebiet Primorsk, Russland, interniert war.

Weitere Recherchen ergeben, dass Rasdolnoje heutzutage als Rasdol’noye geschrieben wird und etwas nördlich von Wladiwostok liegt. Außerdem gibt es eine Dissertation Die Kriegsgefangenen der Mittelmächte in Rußland im Ersten Weltkrieg von Georg Wurzer (Universität Tübingen, 2000), welches das Leben der Kriegsgefangenen beleuchtet und das Gefangenenlager Rosdol’noye erwähnt. Ausserdem wird es erwähnt in Kriegsgefangen: Objekte aus der Sammlungdes Archivs und Museums der Kriegsgefangenschaft, Berlin, und des Verbandes der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen Deutschlands e.V., Bonn-Bad Godesberg, im Deutschen Historischen Museum vom Deutschen Historischen Museum, 1990, welches via Google Books noch in Antiquariaten zu erwerben oder per Bibliotheks-Fernausleihe  zu bestellen ist.

Das genaue Datum und der Ort der Gefangennahme ist den Angaben leider nicht zu entnehmen. Auf mein Forumsbeitrag antwortet ein Teilnehmer mit einem Beispiel, in dem der Betreffenden am 25.02.1915 in Gefangenschaft geriet, seine Mutter am 27.06.1915 davon erfuhr, es aber erst in der Verlustliste vom 09.10.1916 aufgeführt war, d.h. über eineinhalb Jahre später! So bleibt das ungefähre Datum „1916“ basierend auf die Erinnerungen meines Vaters an die Erzählungen seines Vaters. Der Ort „Galizien“ scheint auch nicht sehr hilfreich: In der Wikipedia steht unter „Galizien“, dass Galizien 1914 von Russland erobert wurde. Auf der Wikipedia-Seite des IR 92 wird für 1915 die Schlacht von Gorlice-Tarnów referenziert, in der Lemberg, die Haupstadt Galiziens zurückerobert wurde. Vielleicht war es nach dieser Schlacht in einer Zeit ohne größere Stellungsänderungen, in der mein Großvater in Gefangenschaft geriet.

Update: Die Suche nach Verweisen auf die o.g. Dissertation brachte mich eine Wiki-Seite über österreichisches Militär des Vereins „Familia Austria“ und von dort auf das Zentrale Archiv der Militärkommission des Verteidigungsministeriums (Tschechien) und dort fand ich tatsächlich etwas über meinen Großvater, insbesondere den Tag der Gefangennahme (4.3.1915) und (vermutlich) der Rückkehr (3.4.1920). Unglaublich. Aber: ich muss erstmal die genaue Quelle herausfinden.